Montag, 25. Juni 2012

Schweigen für Michelle Kiesewetter


Eben noch, da lachten wir,
über unsre Fehler.
Ich erheb’ die Stimme dir,
bremse die Pennäler.

Wir vergessen deiner nicht,
wollen dir gedenken.
Längst erlosch dein Lebenslicht,
kannst uns nichts mehr schenken.

Grausamkeit bracht’ deinen Tod,
blinder Hass und Wahnsinn.
Mordlust ohne Sinn und Not
raffte dich so jung hin.

Jetzt steh’n wir und schweigen still,
senken unsre Häupter.
Stille formt ein Wir-Gefühl,
reinigt uns und läutert.

Jeder, der so schweigend steht,
spürt die Kraft der Stille.
Weil uns oft das Schweigen fehlt,
tobt der böse Wille.

Dumme Menschen reden viel,
das treibt sie zum Handeln.
Ist noch Eitelkeit im Spiel,
wird sie uns verwandeln.

So gedeihen Hass und Mord
meistens aus der Ohnmacht.
Dies Gefühl riss manchen fort,
schon in der Kristallnacht.

Zwei liebliche Gedichte

Alternatives Ostergedicht 
(Ramona Schön)
 
Morgens, wenn die Vöglein zwitschern,
immer um die gleiche Zeit,
charaketerstark und gleichsam lüstern
harren sie der Lust zu Zweit.

Alle denken an das Eine -

er uns sie und mancher mehr.
Leider fand der Piepmatz keine,
war nicht seines Zwitscherns Herr.

Anders als die Vogelbrüder

reimt er seinen Singsang nicht,
darum wird er immer müder,
ach, wie doch sein Traum zerbricht.



Alternatives Parallegedicht 

Rastlos, wild und ungezügelt,
anders als der Rest der Welt,
meisterlich vom Klang beflügelt,
ohne dass der Sinn mir fehlt,

nahmst du deines Vogels Glücke,
als der Piepmatz glücklich sang.
Warum reißt du ihn in Stücke? 
Atemlos verhallt sein Klang...

Rufe Vöglein, singe weiter,
darfst nicht trauern, sollst nicht schrei'n,
artig geht das Leben weiter
- warum siehst du das nicht ein?  


Samstag, 23. Juni 2012

Die Straße


Draußen, an der Straße.
Alles ist vollgemüllt:
Zerknüllte Taschentücher,
Plastiktüten im Gebüsch,
gebrauchte Kondome,
McDonalds-Schachteln –
das Übliche…
Ich warte und schaue –
grauenvoll!
Plötzlich geht
eine Tür -
sie quietscht,
öffnet sich einen Spalt.
Ein abgelebtes, aufgequollenes
Gesicht lugt misstrauisch
in meine Richtung.
Es gehört einer
alten Frau.
Ihr weißes T-Shirt
Ist voll gelber
Flecken.
Sie schickt einen
Schläger auf
die Straße.
Er mustert mich verstohlen,
geht auf und ab.
Beide tun sie geschäftig.
Und das sind sie auch…
Später erfahre ich:
Die Alte
 verkauft Drogen
wie im Tante Emma Laden.
Sie lebt  von
Gestrandeten
und verhökert Strandgut.
Der Bedarf ist groß!

Ich gehöre nicht zu
ihren Kunden.
Aber eines Tages 
werde vielleicht auch ich
stranden...